Immergrünes Gras

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Das Gras ist immer grüner
Dort drüben, wo die anderen wohnen
Die anderen
Dort drüben, hier
in dem Gerät
Hauchdünne Gardinen
der Anonymität
Wischen impossible
Ein grauer Schleier bleibt
über Augen und Ohren
haftende Magneten
Das Gras ist grüner dort.

Ich lehne mich hinaus
Ich liege
auf dem Kissen der Bequemlichkeit
Betrachte die Marktschreier
höre sie sich preisen
Sie reden sich ihr Leben schön
und deines mit
Es ist sehr einfach, wirklich alles
Gefangene ihrer Zeit
Gefangen in der Mittelmäßigkeit

Das Gras ist immer grüner
Dort in meinem Kopf
wächst das Gras
saftig
während ich ermattet
mit schwerem Hintern
auf den Boden sinke
Darunter will ich nicht gleiten
Die Grasnarbe ist mein Horizont
Jedoch

In meinem Kopf
wächst das Gras grüner
Gute Laune ohne Augen, ohne Ohren

Dort drüben wächst das Gras
grau oder braun
oder gar nicht
Der Wind pfeift ein Lied:
Das Gras ist immer grüner dort.

Tja, Anne

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Wenn ich nur Antje kennte
wie traurig müsste ich sein
Wie sehr würde ich mich in Frage stellen
Wie sehr würde ich Aggressionen niederringen
Wie sehr
Wenn ich nur Antje kennte

Aber kenne ich die
die mich nähren
die die Dinge denken, sagen
und verstehen
die mir die Welt bedeuten
Kenne ich Menschen, deren Emotionen
in den Grund ihres Selbst fallen
die danach tauchen
um den Schatz zu heben
die sich nackt machen
bevor sie in den Tauchanzug steigen
und sich in unbekannte Gewässer
wagen?

Wenn ich nur Antje kennte
Wie traurig wäre ich
Wie einsam
Antje und meine Mutter
Meine Mutter heißt Antje im Inneren.

Schreckliche Dinge
Die ihnen einst
den Strick um den Hals knoteten
sie am Pflock festbanden
um fortan im Kreis zu laufen
und zu blöken, zu blöken

Sei doch froh wie der Mops im Haferstroh
Hast du auch gut gegessen
Alles ist gut – juhu
Geh da nicht hin
Da ist’s gefährlich

Antje kennt alle Emojis
benutzt doch nur die niedlichen

Wie einsam muss ich bleiben
wenn ich nur Antje kenne
wenn die innere Antje
blökt und mich
umklammert

Ich bin des Blökens müde

Vorsätze fürs neue Jahr

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Vielleicht sollte man sich für das neue Jahr vornehmen, mehr Alkohol zu trinken und weniger Sport zu treiben, mehr Süßigkeiten und weniger Gemüse zu essen. Dann wäre der Druck raus. Weniger leisten, mehr schlafen. Mehr soziale Medien konsumieren. Mehr kaufen. Überhaupt: Mehr Geld ausgeben. Sich mehr gehen lassen. Mehr lachen, aber auch mehr weinen. Sich mehr bei vernachlässigten Freunden melden. Sich weniger Sorgen machen. Auf dem Vulkan tanzen, den Tanzen ist gesund und aktiviert Lebensenergie.

Hell’s Jingle Bells

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Den Film und den Film

und den Film

Ja, ich will

Konsumieren

Mich amüsieren

Endlich

abschalten

einschalten

umschalten

wegschalten

Mich im Kopf bewegen

und dort im Kreis gehen

Punkt

Halt! Eine Weihnachtsgeschichte darf nicht fehlen:

Meine Freundin Monika hatte eine Bekannte und deren Familie hatte einen Dackel namens Wedel, der fraß so gerne Plätzchen. Immer wurden sie ihm unter der Nase weggezogen. Aber an Heiligabend sagte Herrchen zu Wedel: „Heute ist Weihnachten! Heute sollen sich auch deine innigsten Wünsche erfüllen.“ So stellte er Wedel einen gut gefüllten Teller Plätzchen vor die Nase. Der Dackel verschlang sie in Hundemanier. „Ja Wedel, willst du noch mehr?“ Wedel wedelte, was sein Herrchen als „Ja“ interpretierte. Also servierte er dem lieben Tier noch einen vollen Teller Weihnachtsgebäck. Wedel verschlang alles und schenkte Herrchen seinen Dackelblick. Herrchen verstand. Er nahm den leeren Teller und bestückte ihn abermals mit Buttergebackenem, Vanillekipferln, Spekulatius, Zimtsternen, Lebkuchen, Heidesand, Terrassen, Hildabrötchen, Spritzgebackenem und Haselnussmakronen. Ein Stück Christstollen durfte ebenso nicht fehlen. Alles wurde kunstvoll übereinander drapiert.
Wedel machte sich ans Werk. Das letzte Plätzchen verschwand vielleicht nicht mehr ganz so schnell im Hunderachen, aber Wedel leckte sich trotzdem die Schnauze. Dann wankte er etwas mühsam zu seinem Körbchen, das hinter dem Christbaum stand. Dort legte er sich mit dickem Bauch nieder und starb.
Was für ein Tod!

Und jetzt alle:

Jingle Hell, Jingle Hell
Den und den und den
Film hab ich noch nicht geseh’n
An Weihnachten wird’s schön, hey!

Jingle Hell, Jingle Hell
Den und den und den
Brauch ich nicht zu kaufen
Denn auf N*tfl*x kann ich’s seh’n.

Draußen regnet’s sehr
Da geh’ ich gar nicht raus
Schnee gibt es ja nicht mehr
Pack’ eh’ Geschenke aus.

Christmette mit Trompeten
Fand Mama wunderbar
Aus der Kirche bin ich ausgetreten
Das freut mich jedes Jahr. Hey!

Jingle Hell …

Black-Friday-Leben

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Einkaufen

Immer einkaufen

Das Lebensziel wäre erreicht

Einkaufen und die Wirtschaft retten

In die Innenstädte strömen

und Tüten schleppen

In der Menge baden

und sich sicher fühlen

Nicht viel fühlen

Ein Eloi sein: „Es wächst.“

Der Schmerz kommt von alleine wieder

Er kostet nichts

Wirf eine Shopping-Tablette ein:

Preis variabel

Einen zärtlichen Pullover

Eine stabile Hose

Duftende Luft

Wundersalben fürs Gesicht

und für den Körper

Die schnellsten aller Schuhe

Eine erotische Tasche

Nein, alles doppelt.

Der Schmerz kehrt wieder –

Was fällt ihm ein

Black Friday matters

Black-Friday-Woche

Black-Friday-Leben

Do Black Friday Lives Matter?

Fransen

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Man verfranst sich in den sozialen Netzwerken. Man eiert herum wie ein Staubsauger-Roboter, der aus Versehen aus der Wohnung herausgefahren ist und nun auf den Straßen umherirrt, jeden Dreck aufsaugt und an jede Ecke knallt, ohne Orientierung.

Wie konnte das passieren?

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Wie konnte das passieren

dass ich alt wurde?

Dass ich den Wogen nicht

standhielt

Mich hineinziehen ließ

in das Meer

den Wellengang

Mich überspülen ließ

Es mir die Füße wegriss

und ich am Abend

Tang in meiner Hose fand

Dass das Salz auf der Haut

sichtbar wurde

und mir die Wangen

einschrumpelte

Dass es so heiß und

unerträglich würde

dass ich abdanken wollte

nicht mehr untertauchen

und Salzwasser verschlucken

Lieber steif am Rand sitzen

und dem Treiben zusehen

Einen Pelzmantel aus Erinnerungen

tragen

Von der Bildfläche verschwinden

Im Café in Kaffee ertrinken

die Gedanken eintunken, aufweichen

den Kuchen des Lebens betrachten

ihn kauen, bis er

verschlungen ist

Es war ein köstliches Stück

wenngleich fett und schwer

verdaulich.

Bäm – Oktober

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Wäre ich weniger
Wäre ich nie gegangen
von denen
die mir die Einsamkeit
in die Knochen frosteten

?

Wäre weniger Taubheit oder mehr
im Herzen in den Muskeln
den feinsten Fasern
die am Boden schleifen
und weinen
um die feinsten Fasern
die zerrissen waren
oder sind

?

Es liegt ein Klotz in der Luft
oder auf mir
der sehr eckig ist
„Du musst ihn tragen
weil ich ihn nicht fühle,“ sagte sie
„der ist doch nicht schwer, oder“

?

Man fällt in sich zusammen

läuft in den Gulli

Erstaunte Augen

Wie ist das möglich
dass das Leben verblasst
ohne Bekanntschaft
mit den Krähen
und Spechten, die Ameisen vom Boden lecken

Der Nebel verzieht sich
um spätestens fünf vor neun.

Feiertag

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Auf Teufel komm heraus
die Punkte auf dem Hemd zählen

Im Wohnzimmer im Kreis gehen
eine Schneise in den Teppich laufen

Waschen, putzen, kochen

Nimm die Zähne heraus
Nein, die sind echt

Angst vor Kakerlaken
In der Suppe
Apfelsaft

Einen Stein
zur Adoption freigeben

Versuchen zu lesen
dabei schlafen

Das Hirn ausschütteln
ohne die Fenster zu öffnen

Den Stecker ziehen
aber der geht so schwer raus

Freude suchen: zelebrieren
und in Ablenkung ersticken

Mit Freude